R. Ware
Scham und Beschämung in der Gegenübertragung – aus intersubjektiver körperpsychotherapeutisch-psychoanalytischer Perspektive (Arbeitsgruppe zum Vortragsthema „Ich höre Deine Scham“)
Ein erlebnisnahes Intervisionsexperiment für maximal 8 – 10 Psychotherapeut/-innen, die bereit sind, eigene Erfahrungen im vertraulichen Kreis einzubringen / mitzuteilen.
S. Leikert

Die stimm-körperliche Beziehung in der Psychotherapie – die Rolle der kinetischen Semantik in der psychotherapeutischen Veränderungsarbeit

Die Frage ist nicht, ob es in der psychotherapeutischen Beziehung nicht sprachliche Elemente gibt, sondern wie man sie konzeptionalisieren kann. Mit dem Begriff der kinetischen Semantik bezeichne ich eine primäre Sprache des Psychischen welche aus der inneren Organisiertheit sinnlicher Wahrnehmung resultiert und ohne Rückgriff auf Vorstellung oder Sprache eine Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Erleben ermöglicht. Dabei spielt die Stimme und ihre Resonanz im körperlichen Erleben eine zentrale Rolle. Lebensgeschichtlich ist dieser Modus der Aufnahme und Verarbeitung von Bedeutung bereits vorgeburtlich zu beobachten. Dabei gibt es noch keine psychisch wirksame Unterscheidung von Subjekt und Objekt. Dieser Aspekt ist für die psychotherapeutische Begegnung wichtig, da erst die Verwurzelung des therapeutischen Gesprächs in dieser archaisch kinetischen Semantik die Verschmelzungs- und Veränderungsbereitschaft ermöglicht, die wir für die psychotherapeutische Veränderungsarbeit benötigen.

J. M. Scharff

Die Stimme beim Sprechen

Wie sprechen wir mit unseren Patient(innen)en? Wie spricht der/die Patient(in) mit uns? In meinem Vortrag wird es nicht so sehr um das "Was" - also die inhaltliche Bedeutung dessen, worüber in der analytischen Situation gesprochen wird - gehen, sondern darum, unser Bewusstsein für das "Nonverbale im Verbalen", die "musikalische" Dimension im analytischen Dialog zu schärfen. Anhand ausgewählter Fallbeispiele soll aufgezeigt werden, wie Tonalität, Melodik, Rhythmik, aber auch die Auswahl der Worte vielfachen Variationen unterliegen. Dabei haben Stimme und Körperlichkeit eine unmittelbare Beziehung zueinander. Im Sinne einer szenischen Interaktion regelt sich das meiste davon, ob nun mit positiven oder negativem Effekt, auf vorbewusst/unbewusster Ebene, ohne dass man sich dessen gewahr ist. Schult sich der/die Analytiker(in) aber darin, im Vor- oder Nachhinein in das eigene Sprechen hineinzuhören, so können sich darüber wertvolle Erkenntnisse über gerade aktualisierte unbewusste Inszenierungen einstellen und manche musikalisch-gestischen Parameter mögen sogar bewusster gehandhabt werden als zuvor. So wird ein präsentischer Zugang gefunden für die Weise, wie Patient(in) und Analytiker(in) im Sprechen ganz unmittelbar "leibhaftig" aufeinander einwirken.

In der Arbeitsgruppe sollen die Themen des Vortrags anhand weiterer Fallbeispiele und gemeinsamer Diskussion vertieft werden.

Jenseits der Worte – Musiktherapie zwischen Stimme und Sprache

V. Mossbauer

Die Stimme ist unser ureigenstes, persönlichstes Instrument. Als primäre Expressivform des Menschen bildet sie die Basis zwischenmenschlicher Kommunikation und ist vielfach eng mit Sprache bzw. sprachlichem Ausdruck verknüpft.

In der Musiktherapie ist sie als Diagnostikum, häufiger aber noch als Therapiemedium selbst von großer Relevanz. Denn immer wieder treffen wir hier auf Menschen,
  • deren verbale Ausdrucksfähigkeit stark eingeschränkt bzw. gar nicht vorhanden ist,
  • deren Spracheinsatz ausschließlich stereotypen Mustern folgt,
  • die Schwierigkeiten haben, innere Befindlichkeiten, Gefühle und Erlebnisse in Sprache zu fassen,
  • deren Sprache vor allem der Abwehr von Gefühlen und Kontakt dient, oder aber
  • deren zugrundeliegende Störung präverbalen Ursprungs ist.

In diesem Workshop möchte ich anhand kurzer Fallbeispiele, Audioaufnahmen und kleinen Selbsterfahrungsübungen Einblick geben in das breite Spektrum stimmlichen und stimmigen Arbeitens in der Musiktherapie im Spannungsfeld zwischen Tönen, Lallen, Klingen, Singen, Sprechen, Atem, Körper, Schreien, Lachen, Weinen, Innen und Außen, Regression und Aggression, Isolation und Interaktion.

M. Tillmann: Ich, das Geräusch

Es besteht die Gelegenheit nach einer Einführung in das Thema, im Vortrag aufgestellte Thesen zu vertiefen. Auf Behandlungsverläufe und klinische Beispiele – gern auch der TeilnehmerInnen - kann vertiefend eingegangen werden.
„Der Klang des Lebens"

W. Pelinka

Das menschliche Leben und das Hören sind insofern besonders eng verbunden als das Gehör das erstentwickelte Sinnesorgan ist und auch normalerweise bis zuletzt funktioniert. Wesentlich ist die Unterscheidung zwischen der Empfindung „Hören“ und der Wahrnehmung „Zuhören“: das Verständnis der komplexen Vorgänge im Ohr und im Gehirn.
Akustisches Feedback

W. Pelinka

Die kybernetische Schleife Hören – Sprechen kann hierbei mit dem Elektronischen Ohr von Dr. A. Tomatis erfahren werden, ein Praktikum der Audio-Psycho-Phonologie.Dabei wird die faszinierende Schlüsselrolle des Ohres für unseren Energiehaushalt und unser psychisches und körperliches Wohlbefinden ersichtlich. So kann ein individuelles Horchtraining gezielt die Kommunikationsfähigkeit verbessern.
Vom Tonangeben des Unbewussten in der prä- und postnatalen Hörwelt

Michael Tillmann

Derzeit befindet sich unsere Kultur in einem tiefgreifenden globalen Wandel. Weltweit sich überstürzende ökonomische, ökologische und kulturelle Veränderungen schließen in Generationen körperlich quasi leibhaftig gewordene Gewohnheiten und Gewissheiten aus. Der ständige Wandel – ganze Produktionsbereiche verschwinden – bedingt den Verlust des sinnlich Vertrauten. Damit verbunden ist, dass innere und äußere Realität auseinanderfallen und immer unbegreiflicher werden. Die Globalisierung ist verhüllend, körperlich-sinnlich nicht mehr nachvollziehbar. Anzunehmen ist, dass diesem Ausschluss und Mangel, der durch Globalisierung bedingt ist, eine Bilderflut gegenübergestellt wird. Anscheinend wird in diese sinnliche „Lücke“ die Visualität gerückt. Die Medienkultur wirkt mit einer ungeheuren Bilderflut auf die Individuen. Diese Bilderflut suggeriert Intimität und Nähe, die es nicht gibt und für den Einzelnen nicht erreichbar ist. Auch auf kultureller Ebene geht es um eine Verdrängung sinnlicher Erfahrungen und um eine Dominanz des Visuellen.

Wohin ist die Sinnlichkeit verdrängt?

Meine erste These: Das Verdrängte, gesellschaftlich Ausgeschlossene kehrt in verzerrter, verhüllter und hysterischer Form in der Symptombildung Tinnitus wieder. Die Phänomene auf gesellschaftlicher Ebene stehen in einem Zusammenhang zur vermehrten Verbreitung von Tinnitus in den vergangenen 25 Jahren. Globalisierung und Bilderflut sprechen in besonderer Weise den Gehörsinn an. Auch weil über das Hören – metaphorisch gesprochen – etwas gehört werden kann, was man nicht sehen kann. Die Nicht-Nachvollziehbarkeit und Unsichtbarkeit der Globalisierungsprozesse fordern geradezu auf zur phantasievollen Produktion von Symptomen. Sie führen auf individueller Ebene zu magischer Ausgestaltung dessen, was unsichtbar bleibt. Individuen sind verstärkt zur Symptombildung gezwungen. Tinnitusbetroffene werden krank, sie hören, was man nicht sehen kann und soll. Sie lassen sich nicht durch visuelle Dominanz täuschen und hören ihr Leiden, aber die Subjekte verhüllen. Das Tinnitussymptom enthält jedoch auch eine Täuschung bzw. Verhüllung – des authentischen Leidens - nämlich der psychischen Konflikthaftigkeit. Aber nicht nur die vorherrschende Symptomatik ist gesellschaftlich geprägt, auch die entsprechenden Behandlungsentwürfe: Es wird gemacht, was möglich ist, in der Gesellschaft und in der Hightech-Prothesen-Medizin. Tinnitus bedeutet Leiden an verlorener Sinnlichkeit. Die apparative und nicht sprechende Medizin, die Teil des beschriebenen Verdrängungsprozesses ist, kann den Verlust nicht kompensieren und das Leiden nicht sinnvoll machen.

Meine zweite These: Die Ätiologie der Tinnitussymptomatik ist eine hysterische. Die Gesellschaft verhüllt, und auch das Individuum verhüllt seine sinnliche Erfahrung, wenn das Hören keinen Platz hat, und übernimmt das öffentliche Bild in seinem persönlichen Ausdruck. Dabei bedient sich die Hysterie zeitgenössischer öffentlicher Bilder und kultureller Ausdrucksformen und setzt diese in ein leibhaftiges Geschehen durch Körpersymptome um. Auch die Hörwelt erlebe ich als eine Bühne, auf der sich körperlich ein unbewusster Konflikt phantasievoll inszeniert, z. B. im Tinnitus. Die Tinnitussymptomatik ist also nicht nur Zerstörung und Krankheit, sondern auch ein ausdruckvolles Geschehen, das mit primärer Kommunikation zu tun hat. Wie können die Menschen das Hören wieder so erfahren, dass es zu ihnen gehört, als bereichernde sinnliche Erfahrung und nicht als Krankheit? Wie können das Hören und das hinter dem Leiden liegende Subjektive wieder zum Vorschein kommen? Es muss in der Behandlung wieder gesprochen werden über eine Stimme, die gehört werden kann. Es geht quasi um körperliches Hören, das das hören kann, was man nicht sehen kann.

Wird Symptombildung als ein schöpferischer Ausdruck verstanden, dann drücken sich durch das Symptom auch sinnlich metaphorische Aspekte aus. Ich frage mich, ob die Tinnitussymptomatik als ein metaphorischer Ausdruck zu begreifen ist, in dem das Erleben persönlicher Beziehungen enthalten ist. Überlegungen zum Zusammenhang von Tinnitussymptomatik, Kunst und Musik runden den Vortrag ab und laden zur Diskussion ein.

Literaturverzeichnis:

Bolognini, Stefano (2003): Die psychoanalytische Einfühlung, Gießen: Psychosozial-Verlag
Bürger, Peter (2001): Das Verschwinden des Subjekts. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Tillmann, Michael (2007): Der gesellschaftliche Prozess der Globalisierung und die Notwendigkeit von Intimität. Ein Versuch zum individuellen und kulturellen Verständnis der psychodynamischen Bedeutungen des Tinnitus aurium. In: Psychosozial 30. Jg., Nr.107, Heft 1, S.109-131
B. Gindl

Anklang fühlen - Emotionale Resonanzerfahrungen in der Musiktherapie (Teil 1 + Teil 2)

Therapie, die von nachhaltiger Wirkung sein soll, ist das Gemeinschaftswerk zweier Menschen, die sich aufeinander einlassen. Ihren Kern bildet die Erfahrung emotionaler Resonanz. Auf der Grundlage eines entwicklungspsychologisch grundgelegten Therapieverständnisses, das den frühen vorsprachlichen und schon intrauterin erlebten Beziehungserfahrungen in wechselseitigen Resonanzprozessen zentrale Wichtigkeit beimisst, vertrete ich einen gleichermaßen musik- wie körperpsychotherapeutischen Ansatz.

Musiktherapie ist geeignet, dieses subtile zwischenmenschliche Schwingungsgeschehen einerseits anzubahnen und andrerseits sinnlich fassbar zu übermitteln und es zu regulieren. So können besonders jenen Menschen, deren Störungen auf nicht oder unzureichend stattgefundener Resonanz beruhen und bei denen die eigene emotionale Resonanzfähigkeit in der Folge blockiert oder unreguliert ist, heilsame Neuerfahrungen ermöglicht werden.

In diesem Workshop lade ich Sie ein, sich diesem Grundprinzip therapeutischer Beziehung sowohl theoretisch als auch im (musiktherapeutischen) Selbst-Erfahren anzunähern.

Literaturhinweis zur Vertiefung: Gindl Barbara (2002): Anklang - Die Resonanz der Seele. Über ein Grundprinzip therapeutischer Beziehung. Paderborn: Junfermann.
PROGRAMM*)
Samstag 23.Mai 2009
9h20 - 10h15 M. Tillmann: Vom Tonangeben des Unbewussten in der prä- und postnatalen Hörwelt
10h15 - 10h45 J. Scharff: Erste Zusammenfassung und Diskussion
Pause
11h15 - 12h45 WORKSHOPS
B. Gindl:Anklang fühlen - Emotionale Resonanzerfahrungen in der Musiktherapie (Teil 2) (voll)
V. Mossbauer: Jenseits der Worte - Musiktherapie zwischen Stimme und Sprache
W. Pelinka: Akustisches Feedback
M. Tillmann: Ich, das Geräusch
R. Ware: Ich höre Deine Scham (voll)
Mittagspause
15h00 - 16h00 S. Leikert: Die stimm-körperliche Beziehung in der Psychotherapie – die Rolle der kinetischen Semantik in der psychotherapeutischen Veränderungsarbeit
16h00 - 17h00 J. Scharff: Die Stimme beim Sprechen
Pause
17h30 - 18h30 W. Pelinka: Der Klang des Lebens
 
*) Programmänderungen vorbehalten