Freitag, 22. September 2006 *)

Chair: O. Hofer-Moser (parallel B. Windisch)
10.00 - 10.20 Eröffnung P. Geißler
10.20 - 11.05 Vortrag Th. Reinert: Die Borderline-Pathologie als Ausdruck einer atmosphärischen Traumatisierung in der Kindheit.
Vortrag: Die Borderline-Pathologie als Ausdruck einer atmosphärischen Traumatisierung in der Kindheit.

Im Vortrag wird die Borderline-Persönlichkeit begriffen als Ergebnis einer permanent traumatisierenden Kindheitsatmosphäre mit der Folge einer bei den Patienten/innen nur mehr oder weniger rudimentär entwickelten eigenständigen und in sich stabilen Identität, Struktur und Persönlichkeit. Geschildert wird ihre Behandlung mit dem Ziel einer nachholenden Ich- und Selbst-Entwicklung im Rahmen einer ganzheitlichen Therapie unter unbedingter Einbeziehung auch des Körpers und der (spontanen) Kreativität. Die Erfahrung lehrt, dass unter günstigen Bedingungen in der therapeutischen Beziehung auf diesem Wege auch schwergestörte Patienten/innen zu einer sehr befriedigenden Befähigung gelangen können, ihr Leben selbst und in innerer Freiheit zu gestalten.

Literatur: Reinert, Th.: Therapie an der Grenze: Die Borderline-Persönlichkeit – Modifiziert-analytische Langzeitbehandlungen. Verlag Pfeiffer bei Klett-Cotta, 2004

11.05 - 11.50 Vortrag J. Scharff: Innere und äußere Faktoren bei psychischem Trauma
Vortrag: Innere und äußere Faktoren bei psychischem Trauma

Im Umgang mit psychischem Trauma ist stets die komplexe Wechselwirkung von äußeren und inneren Faktoren im Auge zu behalten. Im Hinblick auf äußere Faktoren tritt unter quantitativem Gesichtspunkt eine Reizüberflutung mit begleitendem psychophysiologischen Stress ein; unter qualitativem Gesichtspunkt ist das Subjekt einer Situation von Ohnmacht und Hilflosigkeit und dem Zusammenbruch bisher tragender Sinnstrukturen ausgesetzt. Unweigerlich wirken auch innere Faktoren ein, deren gemeinsame Funktion in einer das psychische Fort- und Überleben sichernden Anpassungsleistung besteht. Dazu gehören Abwehrprozesse wie das psychic numbing, Verleugnung, Hemmung der Mentalisierung sowie dissoziative Prozesse und Übernahme von Schuld i.S. reaktiver Allmacht. Dennoch gilt es in quasi umgekehrter Perspektive den Blick auch dafür offenzuhalten, wie im Rahmen der vorbestehenden Persönlichkeitsstruktur und vorgängiger Konfliktszenarien der Patient auch "Gebrauch" von Aspekten des Traumas macht. In Abhängigkeit von Art und Dauer der Traumatisierung, Alter und Persönlichkeitsfaktoren sowie auch der vergangenen Zeit kann das Trauma Spielfigur in einem unbewußten Szenario der Nachträglichkeit werden und eine Abwehrfunktion im prä-ödipalen oder ödipalen Familiendrama bekommen. Anhand von kurzen Fallbeispielen werden Aspekte des Verständniszugangs und der Technik erörtert.
11.50 - 12.15 Diskussion
Pause
15.00 - 16.30 Parallele Workshops
S. Kratzsch, E. Matschin-Herberz, R. Freihaut: Traumabehandlung und Beziehungsgestaltung
Workshop: Traumabehandlung und Beziehungsgestaltung

In diesem Workshop stellen wir eine Patientin vor, die über Krankheit, Verlassenheitssituationen, Beziehungserfahrungen und über traumatisch erlebte sexuelle Missbrauchssituationen vielfältige Traumata erlebt hat. Schon durch die Beziehungsaufnahme zu Therapiebeginn ereignete sich eine später durch den Therapieprozess und die lebensgeschichtlichen Niederschläge verstehbare implizite Beziehungsgestaltung.

Diese erfasste nicht nur die Patientin selbst, sondern in unbewusster und erst später verstehbarer Weise ebenso die tiefenpsychologisch behandelnde Therapeutin, sowie die therapeutische Kollegin, welche als speziell ausgebildete EMDR-Therapeutin hinzugezogen wurde. (Diese kannte die Patientin aus einem Erstkontakt; sie hatte die Patientin zur Therapie weitervermittelt.)

Die besondere Ausbildung in körpertherapeutischen Methoden, in der psychoanalytisch-tiefenpsychologischen und in der traumaspezifischen EMDR-Behandlung ermöglichte einen vielschichtigen Behandlungs- und Austauschprozess, der die dissoziativen Verarbeitungsformen der Patientin zusammenführen und eine veränderte Behandlungspraxis durch die Methodenintegration fruchtbar werden ließ.

Mit der Fallvorstellung werden Probleme und Behandlungsmöglichkeiten eines solchen integrativen Verständnisses gezeigt, theoretisch eingeordnet und transparent gemacht. Es wird zur Diskussion gestellt, in welcher Weise sich Geschichte, innere Erfahrungswelt und das kumulative wie konkrete Trauma in diesem ungewöhnlichen therapeutischen Beziehungskontext implizit gestaltet, widergespiegelt und mit neuen Entwicklungsmöglichkeiten der Person(en) entfaltet haben.
M. Kupfer, A. Rußmann, T. Leitner: Vorsicht! Junge Männer - oder: eine vergessene und vernachlässigte Generation.
Workshop: Vorsicht! Junge Männer.
Erfahrungen aus einer körperpsychotherapeutischen Gruppe mit Männern unter 25 Jahren an einer Psychosomatischen Klinik.

Junge Männer fallen auf durch Kriminalität, Gewalt, Drogenkonsum, Todesfahrten als Führerscheinneulinge und mit Suiziden. Sie stellen den Hauptanteil an Schulabgängern ohne Abschluss und an Arbeitslosen dieser Altersgruppe. Ursachen sind oft erlittene emotionale und körperliche Traumata.

Wir arbeiten seit drei Jahren mit dieser speziellen Gruppe im Rahmen eines Zusatzangebotes an unserer Klinik. Wir möchten in diesem Workshop unsere Arbeit vorstellen und dabei auf die Besonderheiten dieser Gruppe v.a. im Hinblick auf unsere körpertherapeutischen Behandlungsansatz und daraus resultierende Erfahrungen eingehen.

Wir nennen zunächst gesellschaftlich relevante Zahlen und zeigen Videosequenzen von typischen Inhalten aus der Gruppe zeigen. Hieraus soll sich eine Diskussion über neue Ideen, Ansätze und Konzepte für die Zukunft ergeben.

W. Milch, S. Janko: Die Wiederkehr des Traumas
Körper und Affektspiegelung bei Kindern traumatisierter Eltern
Workshop: Die Wiederkehr des Traumas
Körper und Affektspiegelung bei Kindern traumatisierter Eltern

Traumatisierungen von bedeutsamen Bezugspersonen tauchen häufig in Berichten von Pati-enten auf. Wir möchten deshalb der Frage nachgehen, wie sich dieses Trauma von einer Ge-neration auf die andere hinsichtlich der Übertragungs- und Gegenübertragungsprozessen aus-wirkt. Häufig erlebt der Analytiker bei diesen Schilderungen ein Gefühl der Ohnmacht, ohne dass er diese Gefühle in Zusammenhang mit der jetzigen Situation seines Patienten bringen kann. Er kann sich wie ein kleines Kind fühlen, dass zuhören oder zusehen muss, aber nicht handeln kann, somit auch keinen Einfluss auf die Affektausbrüche infolge früherer Traumati-sierungen der Bezugsperson nehmen kann. Diese Prozesse sollen anhand von verschiedenen kurzen Fallbeispielen mit der Theorie des "Sozialen Bio-feed-back" (Peter Fonagy) und der Theorie des "verkörperlichten Realismus" (Embodied realism, Lakoff und Johnson, 1999), anhand der neurophysiologischen Theorien der Simulation mittels Spiegelneuronen entwickelt wurde, herausbearbeitet werden.
P. Rau: Besonderheiten in der Psychologischen Diagnostik von Traumafolgestörungen
Workshop: Besonderheiten in der Psychologischen Diagnostik von Traumafolgestörungen
Vor jeder Psychotherapie und Psychologischen Behandlung ist eine psychologische Diagnostik zu empfehlen, um wesentliche Informationen über die differentialdiagnostische Einordnung der Symptome, Ich Stärke und Ressourcen der Betroffenen zu erhalten.
Ca. 1/3 der Menschen die lebensbedrohlichen Ereignissen ausgesetzt waren, entwickeln kurze Zeit nach dem Ereignis oder erst zu einem viel späteren Zeitpunkt, Traumafolgestörungen. Diese treten in unterschied-licher Intensität und Komplexität auf und können als Schutzmechanismen verstanden werden.
Zu den Syndrombildern gehören dissoziative Symptome, Probleme in der Affektregulation, Viktimisierung, Beziehungsstörungen, körperliche Beschwerden, Störungen der Aufmerksamkeit und vieles mehr.
Oftmals suchen die Betroffenen hauptsächlich wegen komorbider Symptome z. B. in Form von Ängsten, Depressionen, Gedächtnis-problemen Hilfe auf. Ein erhöhtes Misstrauen gegenüber Anderen (als Ergebnis schlechter Erfahrungen), Ängste für verrückt gehalten zu werden, oder auch Amnesien für das traumatische Ereignis erschweren den diagnostischen Prozess.
Um Überlebenden von Gewalt eine Retraumatisierung, sekundäre Traumatisierung und Fehlbehandlung zu ersparen, ist ein behutsames Vorgehen in der psychologischen Diagnostik von wesentlicher Bedeutung. Zudem ist es erforderlich, mögliche Traumafolgestörungen zu erkennen um den Betroffenen eine traumaspezifische Behandlung z.B. nach dem 4 Phasenmodell zukommen zu lassen.
In diesem Workshop soll die behutsame Gestaltung des diagnostischen Prozesses unter dem Einsatz traumaspezifischer diagnostischer Instrumente und der Intervention „Normalisierung der Symptome“ diskutiert werden.
H-J. Scharff: Innere und äußere Faktoren bei psychischem Trauma
Workshop: Die Bearbeitung psychotraumatischer Situationen erfordert sehr häufig eine doppelte Perspektive. Einmal die Auseinandersetzung mit dem, was dem Patienten geschehen ist (»passiver« Aspekt des traumatischen Ausgesetztseins). Zum anderen die Auseinandersetzung mit der Kontextualisierung, die das Trauma erfahren hat (»aktiver« Aspekt vor allem unbewusster Sinngebungen). An Fallmaterial sollen diese beiden häufig ineinander verschränkten Dimensionen aufgezeigt und ihre technische Handhabung erörtert werden.
B. Steiner: Psychotraumabehandlung mit der Katathym Imaginativen Psychotherapie
Workshop: Psychotraumabehandlung mit der Katathym Imaginativen Psychotherapie

Vorgestellt wird die Möglichkeit der Stabilisierung traumatisierter PatientInnen und des Aufbaus neuer Subjekt-Objekt-Interaktionen mittels Imagination, sowie die Umgestaltung der Phantasiewelt als Möglichkeit der Traumaintegration und der Konfliktlösung. Die Wirkkraft innerer Bilder, die systematische Belebung von Phantasien und die Öffnung des „schöpferischen Raumes“ in der Behandlung wird anhand von Fallbeispielen dargelegt, kann aber auch von den TeilnehmerInnen des Workshops in geleiteten Imaginationen erfahrbar werden. Konkrete Arbeitsanweisungen und Hilfen für die Traumabehandlung mit Imaginationen werden angeboten.

Pause
17.00 - 17.45 Parallelvorträge
Vortrag A: R. Vogt: Psychodynamische Gratwanderungen in der körperorientierten Psychotraumatherapie
Vortrag: Psychodynamische Gratwanderungen in der körperorientierten Psychotraumatherapie

Im Referat wird zunächst ein kurzer theoretischer Überblick über Konzepte der Psychotraumatologie und Körperpsychotherapie gegeben. Dabei werden differentialdiagnostische Kriterien zu Übertragungs- und Introjektsphänomenen benannt und in der Übersetzung auf psychotherapeutische Settings diskutiert.
Körperpsychotherapeutische Interaktionen bewegen sich gerade bei Psychotraumapatienten auf einem engen Grad zwischen einer erneuten Retraumatisierungsgefahr und einer möglichen Tendenz z.T. latente Täterintrojekte wiederholt zu chronifizieren. Zur Illustration werden Fallvignetten - z.T. per Videoausschnitt - angeboten und therapeutische Rahmenkriterien einer körperbezogenen Settinggestaltung und beziehungsseitigen Handhabung beschrieben.

Literaturempfehlung:
Vogt, Ralf (2004): Beseelbare Therapieobjekte. Handlungsinszenierungen in einer körper- und traumaorientierten Psychotherapie. Gießen: Psychosozial Verlag.
Vortrag B: G. Poettgen-Havekost: Behandlungsschritte von der körperlichen Symbolisierung zum dialogischen Verstehen von Traumatisierungen.
Vortrag: Behandlungsschritte von der körperlichen Symbolisierung zum dialogischen Verstehen von Traumatisierungen.

Der Vortrag beschäftigt sich mit den spezifischen behandlungstechnischen Herausforderungen in der analytischen Psychotherapie mit Patienten, die durch multiple und kumulative Traumatisierungen innerhalb ihres familiären Beziehungssystems geschädigt wurden (W. Bohleber 2003, 2004, M. Hirsch 2004) .
Die Patienten „erzählen“ ihre zentralen pathologischen Interaktionserfahrungen „körperlich“ und handelnd, z. B. in Form eines psychosomatischen Geschehen oder destruktiven Umgangs mit dem eigenen Körper wie beim selbstverletzten Verhalten. Die Möglichkeit zur verbal symbolisierten Mitteilung zentraler pathologischer Erfahrungen und Überzeugungen ist defizitär, und dies nicht, weil die Erfahrungen verdrängt wurden, sondern weil sie, auch neurophysiologisch gesehen, nicht ausreichend mental repräsentiert sind.
Fonagy & Target (2004) führen diese „Unfähigkeit zur Mentalisierung“ auf spezifische Beziehungs- und Bindungserfahrungen dieser Patienten zurück.
Diese zeichnen sich hinsichtlich der elterlichen Antworten auf die seelische und körperliche Verfassung des Kindes durch ein großes Ausmaß an projektiver Verformung aus. Die mentale Repräsentierung des eigenen Selbst bleibt verkümmert bzw. ist durch die Internalisierung der mentalen Verfassung der primären Bezugspersonen als fremdes Selbst erheblich beeinträchtigt.
Im autodestruktiven Umgang mit ihrem Körper liegt der Versuch dieser Patienten, die erfahrene schädigende interaktive Realität zu bewältigen, ohne dass diese zunächst im therapeutischen Dialog fühl-, erleb- und reflektierbar wird. Das damit im Zusammenhang stehende Symbolisierungs- und Mentalisierungsdefizit führt zu Überlegungen wie sich behandlungstechnisch ein Weg zum gemeinsamen Begreifen der Erfahrungen der Patienten finden lässt.
Da die Benennung und Zuschreibung mentaler Zustände sich entwicklungstheoretisch aus deren „Verkörperlichung“ heraus entwickelt, wird hier ein Ansatzpunkt gesehen. In der analytischen Arbeit werden Elemente der Körper-, der imaginativen und Beziehungsarbeit miteinander verbunden.
Anhand der Darstellung kasuistischen Materials werden Behandlungsprozesse beschrieben, in denen sich über ein körperlich affektives Spiegeln, auch mit Hilfe einer körperlichen Präsenz der Analytikerin, Bilder und Metaphern mit den Patienten für seelische Zustände und für interaktive Erfahrungen finden lassen.
Im weiteren Verlauf wird gezeigt, wie sich in der therapeutischen Beziehung bei dem Patienten eine „Intentionalität“ (Fonagy & Target 2002) herausbilden kann, eine Kompetenz, das dialogische Miteinander in der Therapie zu erleben und zu benennen, was auch das Aushalten traumatischer Reinszenierungen in abgeschwächter Form einschließt und letzten Endes zum Ziel hat, eine vermehrte Fähigkeit zur Ambivalenz zu entwickeln.
17.45 - 18.00 Diskussion
20.00 Abendessen Weiter>>>
*) Programmänderung vorbehalten